Nov 072016
 

Deutsch-polnische Gesprächstreffen in Bad Muskau

Bei unkonventionellen Tandemkursen werden die TeilnehmerInnen einfach aufeinander losgelassen. Alles wird gemeinsam entwickelt und entschieden. Dabei entstehen langjährige Freundschaften.

Gemeinsam lernen in gemütlicher Atmosphäre: Aus den TeilnehmerInnen des Sprachkurses werden Freunde.

Gemeinsam lernen in gemütlicher Atmosphäre: Aus den TeilnehmerInnen des Sprachkurses werden Freunde.

Wojtek Staniewski lässt bei seiner Arbeit in Bad Muskau nicht los, wie sich Polen und Deutsche „als amorphe Masse von Käufern und Verkäufern“ gegenüberstehen und die Sprache des Anderen nicht verstehen. Er fragt sich, wie man zwischen diesen Menschen „echte Gruppenprozesse anregen kann“. In den Treffen, die der Pädagoge entwickelt, sitzen fünf Tandempaare zusammen in einer gemütlichen kleinen Küche beim Kaffeeklatsch. „Mit nur geringer Unterstützung entsteht Kommunikation früher oder später als Konsequenz von Sympathie und Empathie“ sagt Staniewski. Die TeilnehmerInnen dürfen sich mit ihrem Partner in allen Sprachen unterhalten, die sie oder er können. Ist es nicht möglich sich zu verständigen, fragt man einzelne Worte beim Nachbarpaar nach. Wichtig ist allein, ins Gespräch zu kommen: „Alles ist erlaubt, was dazu führt, dass der andere versteht“ sagt Teilnehmer und Organisator Christoph Schneider. Die anything-goes-Methode geht auf. Auch wenn das Ergebnis zunächst ein „Polenmarkt-Kauderwelsch“ sein mag: es ist ein Mittel um „schnell in die lebendige, gesprochene Sprache hineinzukommen“.

Zusammen unterwegs in der Oderregion: der Tandemkurs beim Picknick in Neuzelle 2011.

Zusammen unterwegs in der Oderregion: der Tandemkurs beim Picknick in Neuzelle 2011.

Die Bildungsstätte Turmvilla Bad Muskau bot den institutionellen Rahmen für die Kurse. In der Nachwende-Aufbruchsstimmung fand Silvester 1990 dort die erste deutsch-polnische Jugendbegegnung statt: ein Konzert mit deutschen und polnischen Bands. Das neu entstandene Deutsch-polnische Jugendwerk (DPJW) förderte ab 1991 zunächst vor allem Jugendbegegnungen in der Turmvilla. Das Muskauer Konzept der „Selbstentwicklung“ wurde auch in den Tandemkursen umgesetzt: Welche Themen die TeilnehmerInnen behandelten, was sie gemeinsam unternahmen entschieden sie selbstständig. Bis zu drei Gruppen trafen sich in dieser offenen Form über Jahre hinweg. Als Staniewskis Stelle endete, übernahmen ehemalige TeilnehmerInnen die Koordination der Kurse. Christoph Schneider, der 2007 in die Turmvilla kam, saß zuerst in einem Sprachkurs, später koordinierte er die Treffen. Als sich viele neue Interessierte meldeten, gründete sich eine eigenständige Gruppe: Die Leute sollten sich erstmal kennenlernen und herausfinden, wer gemeinsame Interessen hat.

Aus den Tandemkursen ist vieles entstanden. „Es gab nach oben hin keine Grenzen“ sagt Christoph Schneider: Gruppen, die sich zu Regionalgeschichte oder Lokalpolitik austauschten – auch Kochen und gemeinsames Essen waren wichtig – Familien, die gemeinsam in den Urlaub fuhren und sich unterstützten, bis hin zu Freundschaften und Partnerschaften. Der Erfolg der Kurse hing damit zusammen, dass daraus „Gemeinschaften derer wurden, die an der Grenze leben“ meint Anett Quint.

Abschlussfahrt nach Lwiw (Lemberg) 2012: ab jetzt machen sich die Kurse nach und nach selbstständig.

Abschlussfahrt nach Lwiw (Lemberg) 2012: ab jetzt machen sich die Kurse nach und nach selbstständig.

Bis heute gibt es die aus den Tandemkursen entstandenen privaten Initiativen. Als 2012 die Koordination durch die Turmvilla ausläuft, fahren die TeilnehmerInnen auf Abschlussfahrt nach Lwiw (Lemberg). Seitdem treffen sich zwei feste Gruppen von etwa 10 Leuten in Eigenregie: zu Hause, im Muskauer Park oder im Kulturhaus in Łęknica. Sie laden Übersetzer zur Unterstützung ein, wenn sie sprachliche Nuancen verstehen möchten. Auch wenn man die Nachbarsprache nicht perfekt beherrscht, können Freundschaften und intensive Begegnungen entstehen.

Aus einer „Clique von jungen Leuten, die in der Region etwas machen wollen“ und sich aus den Tandemkursen kennen, gründet sich 2015 der Verein MusKnica e.V., erzählt Christoph Schneider. Die zwei Kurse lehnen die Trägerschaft ihrer Treffen durch den Verein zwar ab, doch „das ist ein schönes Zeichen, weil wir sehen, dass unsere Arbeit, die auf Verselbständigung zielte, Früchte trägt“. Der Verein plant eine Ausstellung mit alten und neuen Fotos, Zeitzeugen und ihren Familiengeschichten aus dem nahe gelegenen Trzebiel (Triebel).

Von 2003 bis 2016 in Bad Muskau und Łęknica
Gespräch mit Anett Quint und Christoph Schneider
Träger Turmvilla Bad Muskau e.V. (1990 bis 2012)
Projektförderung EU-INTERREG-Programm „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit Sachsen-Niederschlesien“
Heute MusKnica e.V. (seit 2015)

 

Infos im Netz
MusKnica e.V.: musknica@gmail.com, www.lr-online.de/regionen/weisswasser/Geschichten-sollen-Bruecken-bauen

 

Publikation herausgegeben von:

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Gefördert von:
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