Nov 102016
 

Ein Zug fährt durch das Dreiländereck

In den Zug und auf die Bühne mit dem Kulturprogramm der deutschen, polnischen und tschechischen Jugendlichen, sagten sich die Macher von Bahnhof Europa. Sie bringen mit künstlerischen Werkstätten Jugendliche aus dem Dreiländereck zusammen.

Jugendliche touren mit ihrem Kulturprogramm 2002 durch die Bahnhöfe Liberec (Reichenberg), Görlitz-Zgorzelec, Jelenia Góra (Hirschberg), Kamienna Góra (Landeshut), Wrocław (Breslau), Prag, Turnov (Turnau) und Zittau.

Jugendliche touren mit ihrem Kulturprogramm 2002 durch die Bahnhöfe Liberec (Reichenberg), Görlitz-Zgorzelec, Jelenia Góra (Hirschberg), Kamienna Góra (Landeshut), Wrocław (Breslau), Prag, Turnov (Turnau) und Zittau.

Ein Zug fährt im Jahr 2002 durch das Dreiländereck Polen, Tschechien und Deutschland. Darin sitzen 70 Jugendliche aus der Region, Teamer und ein riesiges Arsenal an Bühnentechnik. Das Ziel: Die Projekte vorzustellen, die sie in den letzten Monaten in trinationalen Werkstätten in Großhennersdorf, Niedamirow und Lemberk entwickelt haben. „Wir wollten ein politisches Signal setzen“, so Grzegorz Potoczak, polnischer Leiter des Projektes, im Jahr der finalen EU-Beitrittsverhandlungen Polens und Tschechiens. Bereits seit 1993 arbeiten die Partner aus Niederschlesien, Nordböhmen und Sachsen zusammen, doch „die Sichtbarkeit der Ergebnisse geht kaum über die Seminarhäuser und die unmittelbare Umgebung hinaus“. Die Frage, die sich die Initiatoren stellten war: Wie können wir die tollen Ergebnisse einer größeren Öffentlichkeit präsentieren? „Wir wollten zeigen: Das sind wir, junge Leute, die hier im Grenzraum was gemeinsam tun“ sagt Frank Rischer, Leiter der Begegnungsstätte in Groß Hennersdorf.

Aus einem Musikworkshop entsteht das Beatorchester Olga batikt T-Shirts, sie begleiten das Kulturprogramm und nehmen eine CD auf.

Aus einem Musikworkshop entsteht das Beatorchester Olga batikt T-Shirts, sie begleiten das Kulturprogramm und nehmen eine CD auf.

Die didaktische Arbeit der drei Vereine folgte dem Credo: alles kommt aus den Jugendlichen selbst, nichts wird vorgegeben. In der großen Gruppe entwickelten sie zuerst ihre Ideen: der Bahnhof als ein Treffpunkt von unterschiedlichen Lebenswegen und Menschen, die unterwegs sind und Erfahrungen sammeln. Im Dokumentarfilm „Bordercrosser“ interviewte die Filmgruppe Menschen und Grenzgänger zum Thema Vertreibung, beschäftigte sich mit Kamera, Ton und Filmschnitt. In Anlehnung an Romeo und Julia entstand das Theaterstück „Romeo und Julia auf dem Bahnhof“ dazu schrieb die Band „Olga batikt T-Shirts“ die Musik und spielte live bei den Aufführungen. Das Ganze auf großer Bühne zu präsentieren gab ein gutes Gefühl und zusätzliche Motivation für die Jugendlichen.

Das Theaterstück „Romeo und Julia auf dem Bahnhof“ entwickeln die Jugendlichen selbst nach der berühmten Vorlage.

Das Theaterstück „Romeo und Julia auf dem Bahnhof“ entwickeln die Jugendlichen selbst nach der berühmten Vorlage.

Das Projekt Bahnhof Europa war Produkt einer Entwicklung, die nicht geplant war, die aus einer Art „Zeitgeist“ entstand, erinnert sich Grzegorz Potoczak. Die Initiative warb damals die Jugendlichen in freien Ausschreibungen an Schulen. Ende der 1990er Jahre entstand daraus eine Art Stammgruppe. Die Jugendlichen hatten die kommunistischen Systeme als Kinder noch erlebt, es wurde zu Hause viel darüber gesprochen. Die Grenzen waren im Gegensatz zu heute noch „wirkliche Grenzen“, man musste seine Pässe vorzeigen, jeder Ausflug zu Partnern in den anderen Ländern war eine echte Auslandsreise. Dagegen war das Bedürfnis nach Veränderung, einem „normalen, freien Leben“ groß. Die Jugendlichen aus kleinen Dörfern und Städten der Grenzregion zog noch etwas Anderes an: War das Ziel der Initiatoren die Begegnung, die Auseinandersetzung mit dem Fremden, dem Anderen, war das Mittel dazu die Beschäftigung mit Medien und die künstlerische Arbeit: Die Möglichkeiten mit Filmtechnik zu arbeiten, mit Videoschnitt, Soundbearbeitung, Fotografie und die Zusammenarbeit mit KünstlerInnen und ExpertInnen, die in ihrem Beruf erfolgreich sind.

Das Filmteam dreht die Dokumentation „bordercrosser“. Viele TeilnehmerInnen suchen nach dem Projekt ihren beruflichen Weg im Medien- und Kulturbereich.

Das Filmteam dreht die Dokumentation „bordercrosser“. Viele TeilnehmerInnen suchen nach dem Projekt ihren beruflichen Weg im Medien- und Kulturbereich.

Die TeilnehmerInnen trafen sich 2012 wieder, viele von ihnen sind bei dem geblieben, was sie bei Bahnhof Europa gelernt haben. Zwei TeilnehmerInnen von damals arbeiten heute als WerkstattleiterInnen im neuen Bildungsprojekt der Partner Lanterna futuri. „Bei Bahnhof Europa wurde deutlich, was für tolle Ergebnisse und dichte Atmosphäre bei der künstlerischen Arbeit entstehen“ erzählt Frank Rischer. Die drei Vereine konnten so Förderer gewinnen und ihre Arbeit mit 18 festen Partnerschulen verstetigen. In Musik-, Theater-, Film- und Fotowerkstätten entwickeln die Jugendlichen heute Ideen zu Themen wie „Wem gehört die Welt? Uns, den Fremden oder allen?“, „Europa – quo vadis“ oder „Erkenne Dich selbst“.

Die Grenzen sind zwar durchlässiger und weniger sichtbar geworden, doch der Region hat das keinen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Die ökonomischen Unterschiede sind nicht mehr so spürbar wie damals, aber es gibt weiterhin zu wenig grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Bis heute kann die teils frustrierende Erfahrung in einem „Nest an der Grenze zu hocken“ nur aufgebrochen werden, so Grzegorz Potoczak, „wenn man auf die andere Seite schaut, was es zusammen für Möglichkeiten gibt“.

 

von 2000 bis 2002 in Großhennersdorf (D), Lemberk (CZE), Niedamirow (PL)
Gespräch mit Grzegorz Potoczak und Frank Rischer
Träger Begegnungszentrum im Dreieck e.V., Dreikulturenhaus Parada, Euroregionales Zentrum Lemberk (Zusammenarbeit seit 1993)
Projektförderung EU-INTERREG-Programm, Deutsch-polnisches Jugendwerk (DPJW), Robert-Bosch-Stiftung und andere
Heute Projekt Lanterna futuri (seit 2004)

 

Infos im Netz
Bahnhof Europa: www.xborder.de
Lanterna Futuri: www.lanternafuturi.net
Dokumentarfilm „Bordercrosser“: www.youtube.com/watch

 

Publikation herausgegeben von:

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Gefördert von:
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