Jun 122020
 

Panorama mit Blick auf die gesprengte Brücke nach Osten, Frankfurt (Oder) 1945 © Stadtarchiv Frankfurt (Oder) / Foto: Walter Fricke

Der Zweite Weltkrieg gilt als eines der größten Traumata des 20. Jahrhunderts. Seine Folgen sind bis heute in vielen europäischen Ländern sichtbar und spürbar. Auf eine besondere Art und Weise prägen sie vor allem die deutsch-polnischen, aber auch die deutsch-polnisch-russischen Beziehungen. Für die Gesellschaften dieser drei Länder bedeutete der Holocaust die gravierendste Zäsur ihrer bisherigen Geschichte. Das Ende des nationalsozialistischen, rassenideologischen Vernichtungskrieges stellte sie vor eine bis dahin unbekannte soziale und ethische Desorientierung.
Die Veranstaltungsreihe will die verschiedenen nationalen Narrative und Perspektiven auf das Jahr 1945 am Beispiel von Frankfurt (Oder) thematisieren. Dabei werden vor allem der Charakter der Oderstadt als Drehscheibe der Migration in den ersten Nachkriegsjahren, aber auch die politische und gesellschaftliche Situation nach deren Teilung in Frankfurt und Słubice infolge des Potsdamer Abkommens eine zentrale Rolle spielen.

Mit fünf Veranstaltungen, in die teilweise Zeitzeugen eingebunden sind, laden wir Sie herzlich ein, mit uns ein Stück wechselvoller brandenburgischer, aber auch europäischer Geschichte kennenzulernen.

Das Projekt »Bahnhof Europas. Frankfurt (Oder) 1945« ist ein Projekt des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Kooperation mit dem Institut für angewandte Geschichte − Gesellschaft und Wissenschaft im Dialog e. V. und dem Museum Viadrina in Frankfurt (Oder). Es findet im Rahmen des Themenjahres »KRIEG und FRIEDEN. 1945 und die Folgen in Brandenburg — Kulturland Brandenburg 2020« statt.

 

Gefördert wird es durch das Kulturland Brandenburg und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

BAHNHOF EUROPAS. FRANKFURT (ODER) UND DAS JAHR 1945

2. Juni 2020, 18 Uhr YouTube-Premiere│Vortrag von Prof. Dr. Werner Benecke, Europa-Universität Viadrina│Anmoderation: Dr. Martin Schieck, Museum Viadrina, Frankfurt (Oder)

Das Jahr 1945 markiert für Frankfurt (Oder) eine der tiefsten Zäsuren der gesamten Stadtgeschichte. In sehr hoher zeitlicher Verdichtung erfuhr die Bevölkerung erst in den letzten Wochen des Krieges tiefe Umbrüche: die Evakuierung, die Zerstörung des Stadtzentrums, die Teilung der Stadt entlang der Oder, die zu einer neuen Grenze werden sollte. Der Vortrag wird zunächst die globalen politischen und militärischen Rahmenbedingungen des Jahres 1945 darlegen, um die Frankfurter Ereignisse bei Kriegsende und die neue Funktion der Stadt als Station auf unzähligen erzwungenen Lebenswegen einzuordnen.

 

Panorama mit Blick auf die gesprengte Brücke nach Osten, Frankfurt (Oder) 1945
© Stadtarchiv Frankfurt (Oder) / Foto: Walter Fricke

 

VON SIBIRIEN NACH SŁUBICE. Die Besiedlung der polnischen Stadt Słubice nach dem Zweiten Weltkrieg

28. September 2020, 18 Uhr Ort: Museum Viadrina, Frankfurt (Oder) │ Vortrag von Prof. Dr. Beata Halicka, Adam-Mickiewicz-Universität Posen/Poznań mit anschließendem Gespräch mit Zeitzeugen vom Verband der Sibiriendeportierten (Związek Sybiraków) │ Moderation: Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach, Institut für angewandte Geschichte − Gesellschaft und Wissenschaft im Dialog e. V.

Nach Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung musste die Stadt Słubice, die aus der Frankfurter Dammvorstadt hervorgegangen ist, neubesiedelt werden. Nach und nach zogen Mitarbeiter des Grenzschutzes und des Militärs sowie Zivilbevölkerung in die neue polnische Grenzstadt an der Oder. Unter ihnen befanden sich Umsiedler aus den Gebieten, die Polen an die Sowjetunion abtreten musste, aber auch viele zuvor aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten von den Sowjets nach Sibirien deportierte Polen. Andere migrierten in den neuen polnischen Westen, weil sie hier eine Chance auf einen Neuanfang sahen. Einen kleinen Teil bildeten schließlich ehemalige Zwangsarbeiter, die sich hier auf ihrem Weg aus dem Westen niederließen.

Große Scharrnstraße in Frankfurt (Oder)
© Stadtarchiv Frankfurt (Oder) / Foto: Walter Fricke

 

DIE RUSSEN SIND DA! Frankfurt (Oder) in den ersten beiden Nachkriegsjahren

28. Oktober 2020, 18 Uhr Ort: Museum Viadrina, Frankfurt (Oder) │Vortrag von Dr. Jörg Morré, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst │Moderation: Dr. Karl-Konrad Tschäpe, Gedenk- und Dokumentationsstätte »Opfer politischer Gewaltherrschaft«/ Museum Viadrina, Frankfurt (Oder)

Frankfurt (Oder) wurde nach Kriegsende zu einem geopolitischen Angelpunkt sowjetischer Besatzungspolitik. Hier verliefen beinahe alle Menschentransporte in den und aus dem sowjetischen Machtbereich. Im Rahmen des Vortrags sollen unter besonderer Berücksichtigung von Frankfurt (Oder) die großen Linien der sowjetischen Ostmitteleuropa-Politik und deren konkrete Umsetzung in Besatzungsverwaltung aufgezeigt werden.

Straßenbahn durch Ruinen in Frankfurt (Oder)
© Stadtarchiv Frankfurt (Oder) / Foto: Walter Fricke

 

EUROPE ON THE MOVE. FRANKFURT (ODER) 1945

30. Oktober 2020, 18 Uhr Ort: Schloss Cecilienhof, Potsdam Eintritt: 8 Euro/6 Euro ermäßigt │ Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Beata Halicka, Adam-Mickiewicz-Universität Posen/Poznań, Dr. Andreas Kossert, Historiker, Berlin und Dr. des. Karl-Konrad Tschäpe, Gedenk- und Dokumentationsstätte »Opfer politischer Gewaltherrschaft«/Museum Viadrina, Frankfurt (Oder) │ Moderation: Dr. Ulrich Mählert, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (angefragt)

Die zunächst weitestgehend von Kriegshandlungen verschonte Stadt Frankfurt (Oder) wurde 1945 massiv von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs getroffen. Zum einen fiel das über Jahrhunderte gewachsene historische Stadtzentrum in wenigen Wochen Kriegseinwirkungen und Brandstiftungen zum Opfer. Zum anderen wurde Frankfurt ab 1945 zu einem Umschlagplatz für Hundertausende. Bereits im Januar 1945 erreichten erste Flüchtlinge aus östlichen deutschen Provinzen die Oderstadt. Ab Mai 1945 durchquerten sie ehemalige osteuropäische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf dem Weg in ihre Heimat. Aber auch deutsche Kriegsgefangene, politische Häftlinge, Heimkehrer, Vertriebene und Zwangsarbeiter trafen hier zwischen 1945 und 1956 aufeinander. Infolge des Potsdamer Abkommens sollte Frankfurt (Oder) zu einer Grenzstadt und ihr östlicher Stadtteil Dammvorstadt zur polnischen Stadt Słubice werden, in der Menschen aus Zentral- und Ostpolen, aber auch zuvor nach Sibirien deportierte Polen bzw. ehemalige Gulag-Häftlinge angesiedelt wurden. Für fast alle war Frankfurt (Oder) Station auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft und der Aufenthalt hier gleichzeitig von existentieller, prägender Bedeutung.

Szenenfoto aus »Bürgermeister Anna«, © DEFA-Stiftung / Erich Kilian

BÜRGERMEISTERINNEN, ÄRZTINNEN, ARCHIVARINNEN. Die Frauen in Frankfurt (Oder) 1945 und in den ersten Nachkriegsjahren

18. November 2020, 17 Uhr Ort: Museum Viadrina, Frankfurt (Oder) │ Podiumsdiskussion mit Ursula Basel, Tochter von Irmgard Paetsch, der ersten Bürgermeisterin von Frankfurt (Oder) nach dem Zweiten Weltkrieg, und Sahra Damus, Mitglied des Brandenburgischen Landtags (Bündnis 90/Die Grünen), ehemalige Projektkoordinatorin »FrauenOrte in Frankfurt (Oder) und Słubice« │ Moderation: Dr. Magdalena Abraham-Diefenbach, Institut für angewandte Geschichte − Gesellschaft und Wissenschaft im Dialog e. V.

Nach dem Kriegsende übernahmen Frauen in der deutschen ein Umdenken ein. Gesellschaft in einer Weise Verantwortung in der Öffentlichkeit, wie kaum jemals zuvor. Da viele (Ehe-)Männer entweder gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren, mussten sich Frauen, häufig auf sich allein gestellt, im Alltag der ersten Nachkriegsjahre behaupten. Ihr Gestaltungswille findet Ausdruck in ausgeübten Berufen und übernommenen gesellschaftlichen Funktionen, auch in Frankfurt (Oder): In dieser Zeit ist Irmgard Paetsch (1898–1988) Bürgermeisterin von Frankfurt (Oder), Ursula Sellschopp (1915– 1998) und Hedwig Hahn (1891–1980) sind als Ärztinnen tätig, Helene Hannemann (1908–1990) engagiert sich im politischen und kulturellen Bereich und Elfriede Schirrmacher (1894–1978) ist als Stadtarchivarin tätig. Ihre Biographien entwerfen ein spannendes Panorama der deutschen Gesellschaft nach der »Stunde Null«.

Im Anschluss Filmvorführung »Bürgermeister Anna« mit Einführung von Dr. habil. Ralf Forster und Jeanette Toussaint, Filmmuseum Potsdam.

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