Apr 252017
 

In der Jugendagora entwickelten Jugendliche eigene politische Ziele

Jugendliche erarbeiteten Vorschläge für eine jugendgerechte Grenzregion und wurden dabei von PolitikerInnen unterstützt. Nach einer öffentlichen Präsentation verwirklichten sie die Ideen anschließend zusammen mit Polit-PatInnen.

Seit 2011 entwickeln deutsche und polnische Jugendliche in der Jugendagora auf Schloß Trebnitz politische Forderungen für die Grenzregion.

Seit 2011 entwickeln deutsche und polnische Jugendliche in der Jugendagora auf Schloß Trebnitz politische Forderungen für die Grenzregion.

Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren können durchaus politisch sein, man muss sie nur lassen. Bei der Jugendagora stellen sie seit 2011 Jahren ihre Ideen PolitikerInnen aus der Grenzregion vor. Dabei erfahren sie, wie Politik auf Landes- und Landkreisebene funktioniert, wie die Amtsträger „so drauf sind“, warum PolitikerInnen sich für oder gegen eine Idee positionieren. Es entstehen folgende fünf Ideen in gemeinsamen Diskussionen: ein Musikfestival, ein Fußballturnier, ein binationaler Fußballverein, eine regionale Online-Mitfahrzentrale und ein dauerhaftes, institutionalisiertes Jugendparlament.

Mit ihren Ideen reagieren die Jugendlichen auf ein konkretes Problem, das sie ausgemacht haben: viele ärgern sich über zu wenig Freizeitangebote in ihrer Umgebung. Bis zu sechs Jugendliche setzen die einzelnen Ideen um und stellen die Ergebnisse sieben Monate später beim nächsten Treffen vor. Die PolitikerInnen aus Märkisch-Oderland und Gorzów Wielkopolski (Landsberg an der Warthe) hören sich die Vorschläge der Jugendlichen an. Jedes Team bekommt einen Politiker als Paten, der sie unterstützt und berät.

„Wir wollten Politik in ihrer ganzen Komplexität wahrnehmbar machen“, sagt Matthias Busch, Initiator der ersten Jugendagora. Es gehe ihm darum, dass Jugendliche an den sie betreffenden politischen Entscheidungen teilhaben. Dem Vorwurf ihrer Politikverdrossenheit könne man nur begegnen, indem man spannende Formen der politischen Teilhabe schaffe. Planungszellen sind solche Modelle politischer Teilhabe: Die TeilnehmerInnen arbeiten dabei an konkreten Problemen und entwickeln Lösungsvorschläge. Matthias Busch und seine KollegInnen vom Bildungs- und Begegnungszentrum Schloß Trebnitz entwickelten dieses Konzept zu einem grenzüberschreitenden Format weiter, das regionale PolitikerInnen und ExpertInnen früh einbindet.

Die Jugendlichen wurden von PolitikpatInnen beraten und stellten ihre Ergebnisse den regionalen Entscheidern vor.

Die Jugendlichen wurden von PolitikpatInnen beraten und stellten ihre Ergebnisse den regionalen Entscheidern vor.

Abwanderung, eingeschränkte berufliche Perspektiven und ein schlechtes Freizeitangebot: Die Jugendlichen merkten schnell, als sie ihre Videotagebücher ansahen, dass die Provinz auf beiden Seiten der Grenze ähnliche Nachteile hat. In den moderierten Gesprächen wurde an Lösungen gearbeitet, die die Regional- und EU-PolitikerInnen auf ihre Praxistauglichkeit prüften. Zusammen unternahmen die Grüppchen Ausflüge nach Seelow und Kostrzyn (Küstrin), telefonierten mit Ämtern und Firmen, recherchierten Fördermöglichkeiten.

Wie funktionierte die Zusammenarbeit mit den PatInnen? Das Bild von desinteressierten PolitikerInnen revidierten die SchülerInnen schnell: „Ich habe gedacht, die sind überheblicher.“ Die Erfahrung, mit den Ideen ernst genommen, von EntscheidungsträgerInnen gehört zu werden und die Chance, ihre Ideen umsetzen zu können, elektrisierte die Jugendlichen. Allerdings führte die geringe Teilnehmerzahl polnischer PatInnen dazu, dass die polnischen Jugendlichen eher skeptisch waren, ob ihre Ideen auch verwirklicht würden. Der Versuch eines Online-Blogs steckte bei diesem Projekt noch in den Anfängen. Nur wenige SchülerInnen diskutierten die Ergebnisse der ersten Jugendagora. Für ein größeres Publikum junger LeserInnen müsste die Jugendagora mehr im Unterricht behandelt werden.

Viele Ideen der ersten Jugendagora wurden umgesetzt. Aus dem Musikfestival wurde im Sommer 2010 ein großes Konzert mit anschließender Party. Das Projekt der Mitfahrzentrale stellte sich als zu ambitioniert heraus: Es gab datenschutzrechtliche Bedenken. Auch wenn das enttäuschend war, wurde in der gemeinsamen Auswertung klar, warum gute politische Ideen manchmal nicht umzusetzen sind, an „Realpolitik oder komplexen transnationalen Rechtslagen“ scheitern: „Wir haben das mit den Jugendlichen ausgewertet“, so Busch – erklärt, welche AkteurInnen sich warum gegen das Projekt entschieden haben, gezeigt, welche Kräfte am Wirken waren. „Wir wollten die Verhandlungssituation sichtbar machen, damit die Jugendlichen das Projekt nicht als Scheitern, sondern als Lernprozess erleben.“

Eine Idee war besonders erfolgreich: Im Oderjugendrat bringen die Jugendlichen jährlich ihre politischen Forderungen zu Gehör.

Eine Idee war besonders erfolgreich: Im Oderjugendrat bringen die Jugendlichen jährlich ihre politischen Forderungen zu Gehör.

Am ehesten tragbar erwies sich die Idee der Jugendbeteiligung selbst: Eine Kerngruppe von fünf Jugendagora-TeilnehmerInnen wollten die Idee eines langfristigen grenzüberschreitenden politischen Engagements selbst umsetzen und gründeten 2011 den Oderjugendrat: „Wir fordern ein Mitspracherecht der Jugendlichen in der Politik“, sagten die Jugendlichen in ihrem Videoclip. Das EU-finanzierte MORO-Programm des Bundesverkehrsministeriums 2012 zur Demographie forderte vom Verbund Oderbruch und Lebuser Land die Beteiligung von Jugendlichen. Der Seelower Bürgermeister Jörg Schröder hatte als Experte an der Jugendagora in Trebnitz teilgenommen und wusste von dem neu gegründeten Parlament. So wurde der Oderjugendrat Teil des regionalen Bündnisses.

2012 formulierten die 24 Jugendlichen aus Boleszkowice (Fürstenfelde), Kostrzyn-Küstrin, Letschin und Seelow ihre Forderungen zur Bewältigung des demographischen Wandels im Oderland: mehr deutsch-polnische Zusammenarbeit, kreative Schulformen, mehr Mobilität und weniger Bürokratie. Die Arbeit der Jugendlichen wurde gelobt, aber der Staatssekretär Albrecht Gerber kritisierte in der öffentlichen Diskussion im Schloß Trebnitz den Forderungskatalog auch als breit gefächert und zu allgemein gehalten.

Der Oderjugendrat tagt seitdem – finanziert durch verschiedene Projektförderungen – jedes Jahr mit neuen Leuten und zu neuen Themen. Sie lernen dabei nicht nur etwas über politische Prozesse: wer, will kann als deutsch-polnischer Jugendlicher auch auf internationaler Bühne auftreten. Nach aktiven Jugendlichen der deutsch-polnischen Grenzregion werde oft gesucht, sagt Christopher Lucht, offenbar gebe es nicht so viele VertreterInnen ihrer Art.

 

seit 2011 in Trebnitz, Seelow, Müncheberg und Letschin
Gespräch mit Matthias Busch und Christopher Lucht
Träger Bildungs- und Begegnungszentrum Schloß Trebnitz e.V., Universität Hamburg
Projektförderung EU-Programm „Jugend in Aktion“, Bundeszentrale für politische Bildung und weitere

 

Infos im Netz
Schloß Trebnitz: www.schloss-trebnitz.de, www.schloss-trebnitz.de/politische-bildung
Deutsch-polnischer Oderjugendrat: www.oderjugendrat.eu

 

Publikation herausgegeben von:

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